A wie Abstand

Donnerstag, 25. Juni 2020, 20 Uhr. Zum ersten Mal seit der coronabedingten Absage aller Chorproben wollen wir Young Voices uns wieder zu einer Chorprobe treffen. Was wird in den kommenden 90 Minuten passieren?

Etwas mulmig ist mir als Vorstand schon, vor allem, da von einigen Chormitgliedern auch kritische Rückmeldung gekommen ist. „Wollt ihr euch wirklich wieder zum gemeinsamen Singen treffen? Mir ist das noch zu gefährlich“, war nur ein Kommentar von einigen mehr.

Aber es gab auch ermutigende Rückmeldung von anderen SängerInnen, die genauso wie ich auch endlich mal wieder etwas wie Normalität in den Alltag bekommen möchten.

Ich betrete bepackt mit unserem Keyboard die Aula. 1. Aktion: Hände desinifizieren. 2. Aktion: Einen Platz finden. Wir stehen/sitzen in der Aula mit 2 Meter Abstand. Das ist sehr ungewohnt. Unsere Chorleiterin Edith platzieren wir mit ca. 4 Metern Abstand zur 1. Reihe, insgesamt ist sie zur letzten Reihe gefühlt meilenweit weg.

Das Einsingen beginnt etwas zaghaft. Ich habe mich zwar auf den Abend gefreut, aber im Hinterkopf beschäftigen mich einige Gedanken, was wäre wenn…?, so dass ein tiefes Einatmen zuerst für mich nicht möglich ist.

Wir beginnen dann mit einem neuen Stück. Hoch von Tim Bendzko. Der Text passt irgendwie teilweise auf unsere Situation: „egal wie hoch die Hürden auch sind, sie sehen von hier oben so viel kleiner aus“. Mir fehlen die gewohnten Stimmen aus dem Alt an meiner Seite und in meinem Rücken. Ich konzentriere mich sehr auf mich und versuche auf die anderen zu hören. Edith ist aufmerksam und führt uns durch die einzelnen Passagen, so dass wir uns am Ende doch trauen, etwas aus uns rauszugehen.

Als 2. Stück des Abends folgt Leichtes Gepäck. Das haben wir vor der Corona-Pause bereits mehrfach geübt. Doch die Sicherheit und Leichtigkeit, die teilweise schon da war, fehlt. Rhythmisch sind viele Stolperer drin, auch bei der Melodie muss Edith uns auf die Sprünge helfen. Die lange Pause hat doch Spuren hinterlassen. Am Ende schaffen wir das Lied einmal am Stück durch. Ein kleines bisschen Erleichterung, dass doch nicht alles komplett weg ist, was wir uns schon erarbeitet hatten.

Aber das 3. Stück versetzt der Euphorie dann wieder einen Dämpfer. 500 Miles haben mehrere von uns anscheinend noch gar nicht mitgesungen, obwohl wir das Stück vor fast genau einem Jahr das erste Mal in einer Probe bearbeitet haben. Es läuft daher auch etwas zäh an, ein wirkliches Erfolgserlebnis stellt sich bei diesem Stück für mich nicht ein.

Alles in allem war diese Chorprobe wirklich alles andere als normal. Wir waren nur 16 Teilnehmer, davon nur 2 Tenorstimmen und 2 Bässe. Dies macht die Probe für diese Stimmen natürlich nicht einfach. Die Probe haben wir in der Aula abgehalten. Im Freien haben wir gar keine akustischen Möglichkeiten, was das gemeinsame Singen noch einmal zusäztlich zum 2-Meter-Abstand erschwert.

Im Vergleich zu einer Prä-Corona-Probe empfand ich die Probe sehr angenehm. Der Abstand zwingt uns zu mehr Aufmerksamkeit und Disziplin. Dadurch rückt die Arbeit mit Edith in den Mittelpunkt und ermöglicht es ihr trotz der großen räumlichen Distanz zu uns Sängern vernünftig mit uns zu proben.

Fazit dieses Abends: Trotz der coronabedingten Auflagen sind wir in der Lage, eine produktive Probe abzuhalten, in der sich unsere Chorleiterin und die Sängerinnen und Sänger wohlfühlen. Wir werden daher zunächst die Proben bis zu den Sommerferien fortführen.